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Offener Brief an den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestags


München, den 17. Juni 2024 

Sehr geehrter Herr MDg. Dr. Roos,

 

 

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, hat kürzlich die Dokumentation „Prostitutionsgesetzgebung und Vergewaltigungsrate“ (1) veröffentlicht. Dieser Bericht weist aus unserer Sicht gravierende methodische Mängel auf und bezieht sich auf Autoren, deren Expertise zu diesem sehr speziellen Thema zumindest fraglich ist.

 

Wir vom Deutschen Institut für Angewandte Kriminalitätsanalyse DIAKA e.V. beschäftigen uns seit Jahren - teilweise seit Jahrzehnten - mit diesem Thema. Wir sind erfahrene PraktikerInnen in der Bekämpfung des Menschenhandels und in der Opferhilfe in der Prostitution. Wir sind darum besorgt, dass den Abgeordneten des Deutschen Bundestages vom hauseigenen Wissenschaftlichen Dienst eine recht einseitige und teils falsche Datenlage vorgelegt wird, die wichtige Forschungsarbeiten nicht berücksichtigt. Wir fügen Ihnen deshalb ein PDF des im NOMOS Verlag publizierten Sachbuchs „Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“ der Professoren Mack und Rommelfanger bei. Darin enthalten sind auch wichtige Aussagen von VertreterInnen der Justiz, Medizin und Therapie.

 

Erst kürzlich hat der Deutsche Bundestag über den weiteren Umgang mit der Prostitutionsgesetzgebung diskutiert, Fachausschüsse werden sich mit dem Thema beschäftigen. Alle Parteien (außer AfD) waren sich einig, dass in der Prostitution menschenunwürdige Zustände herrschen, die es dringend zu verbessern gilt.

 

In dieser Situation ist es unabdingbar, dass unsere Bundestagsabgeordneten vom Wissenschaftlichen Dienst seriöse und belastbare Informationen erhalten. Wir von DIAKA kritisieren, dass in der aktuellen Dokumentation der Eindruck erhoben wird, ein Sexkaufverbot führe zu mehr Vergewaltigungen. Das entspricht der falschen und interessensgeleiteten Argumentation der Sex-Lobby und den Profiteuren des Menschenhandels.

 

Unsere Kritikpunkte an Ihrer aktuellen WD-Dokumentation „Prostitutionsgesetzgebung und Vergewaltigungsrate“ im Einzelnen:

 

  1. Der Wissenschaftliche Dienst bezieht sich in seiner aktuellen Dokumentation an erster Stelle auf die Untersuchung von Ricardo Ciacci, von der Päpstlichen Universität in Madrid. Er schrieb: In Schweden seien nach Einführung des Sexkaufverbots Vergewaltigungen in den Jahren 1999 bis 2014 um 47 Prozent angestiegen.(2) Das ist nachweislich eine überholte These – sie beruht offenbar auf einem Rechenfehler. Das belegt die Re-Analyse von Joop Adema (ifo Institut), Olle Folke (Universität Uppsala) und Johanna Rickner (Universität Stockholm).(3) Die Ökonomen haben dazu bereits das Journal of Population Economics aufgefordert, die Ciacci Studie zurückzuziehen. Der Herausgeber prüft gerade den Vorgang. Darüber hat auch schon die FAZ berichtet.

  2. In der vom Wissenschaftlichen Dienst zitierten Studie von Gao/Petrova wird die Behauptung aufgestellt, dass eine Bestrafung von Sexkauf die Neigung zu Sexualverbrechen erhöhe – nach dem Motto „Wenn der Sexkauf bestraft wird, dann könne man gleich vergewaltigen“.(4) Dabei wird außer Acht gelassen, dass es eine Mindeststrafe bei Vergewaltigung in Deutschland gibt – sie liegt bei zwei Jahren. In Schweden und Frankreich werden beim Verstoß gegen das Sexkaufverbot Geldstrafen verhängt. Die „Studie“ bemüht also hanebüchene Vergleiche.

  3. Auch die dritte vom Wissenschaftlichen Dienst angeführte Studie, Nair/Sharma/Gosh, entspricht nicht den wissenschaftlichen Standards.(5) Es ist nicht seriös, aus indischen Verhältnissen Rückschlüsse auf Deutschland zu ziehen. Es gilt dort ein Kastensystem, bis zu 90 % der angezeigten Vergewaltigungen werden in Indien nicht weiter ermittelt - von den Behörden.(6) Die von den Autoren erhobenen Vergewaltigungsraten sind nicht korrekt.(7) Außerdem fehlen Belege für Behauptungen.

 

Schon 2019 hatte der Wissenschaftliche Dienst eine Dokumentation zu den Auswirkungen des Nordischen Modells veröffentlicht: sie bezog sich sehr einseitig auf Quellen, die sich gegen eine Gesetzesänderung ausgesprochen haben.(8) Zudem gab es in dem Bericht eine Reihe von groben sachlichen Fehlern – zum Beispiel wurden nicht einmal alle Länder korrekt aufgeführt, die das Nordische Modell eingeführt haben.

 

Ihr Wissenschaftlicher Dienst genießt hohes Ansehen und arbeitet nach eigener Aussage parteipolitisch neutral und sachlich objektiv. Prostitution ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema. Die sachgerechte Beurteilung der Thematik erfordert ein umfangreiches Experten- und Hintergrundwissen. Wir von DIAKA würden Sie als Fachgremium ohne wirtschaftliche Interessen gerne mit unserer Expertise und Erfahrung unterstützen und würden uns über einen Austausch mit Ihnen und Ihrem Team freuen.

 

Es geht auch um das Ansehen unseres Landes, das international seit Jahren kritisiert wird, weil zu wenig gegen Menschenhandel im Zusammenhang mit Prostitution unternommen wird.

 

Mit freundlichen Grüßen

Inge Bell, Vorstandsvorsitzende DIAKA

Helmut Sporer, Kriminaloberrat a.D., Stv. Vorstandsvorsitzender DIAKA


  1. https://www.bundestag.de/resource/blob/997220/816ecdb7a1923b122fbe32d288d3931d/WD-7-020-24-pdf.pdf.
  2. R. Ciacci, Banning the purchase of prostitution increases rape: evidence from Sweden, MPRA 1. May 2020; https://mpra.ub.uni-muenchen.de/100393/1/MPRA_paper_100393.pdf.
  3. https://www.uio.no/studier/emner/matnat/math/STK4900/v24/ademafolkerickne2024.pdf.
  4. https://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/720583.
  5. https://arxiv.org/pdf/2009.05319.
  6. J. Kumar, Outrage toward rape in India must extend to local women too, Nikkei Asia 24.3.2024: https://asia.nikkei.com/Opinion/Outrage-toward-rape-in-India-must-extend-to-local-women-too; S. Pathak, L/ Frayer, What Headlines and Protests get Wrong about rape in India, NPR 29. Dezember 2019: https://www.npr.org/sections/goatsandsoda/2019/12/29/791734411/what-headlines-and-protests-get-wrong-about-rape-in-india; P. Bhattacharya, T. Kundu, 99% cases of sexual assaults go unreported, MINT 24. April 2018: https://www.livemint.com/Politics/AV3sIKoEBAGZozALMX8THK/99-cases-of-sexual-assaults-go-unreported-govt-data-shows.html; M. Sunita, Is India’s rape crisis a recent phenomenon? At the crossroads of religious nationalism, caste, and gender, Sexualities 26/7 (2023), 789-804; P. Sugyanta, Antecedents of marital rape cases: Disgracing assailants via social media forums, Cyberfeminism and Gender Violence in Social Media, 4. Oktober 2023, 1-13; M. Haque, N.B. Khan, Rape as a tool of political mobilisation: The experience of Indian muslim, Human Geography(United Kingdom) 16/3 (2023), 327-333; A. Patel, Sexual abuse and its impact on the well-being of women: evidence from India, Journal of Adult Protection 25/6 (2023), 367-380; N. Kulshreshtha, A critical analysis of the standard of consent in rape law in India, Onati Socio-Legal Series 13/4 (2023), 1425-1456; J.G. Panickasserli, Judicial approaches to victims of sexual violence: The Indian criminal justice system and restoractive justice principles, Gendered Perspectives of Restotactive Justice, Violence and Resillence: An International Framework, 22. August 2022, 41-62; siehe auch: https://www.nsoj.in/stories/-sexual-violence-and-the-concept-of-consent--?ref=artshelp.com; https://www.dw.com/en/sexual-violence-in-india-is-rape-becoming-normalized/a-68443032; https://juriscentre.com/2023/10/13/analysis-on-the-offence-of-rape-in-india/#_ftn1.
  7. A. Khoshnood, H. Ohlsson, J. Sundquist, K. Sundquist, Swedish rape offenders – a latent class analysis, Forensic Sci Res 6/2 (2021), 124-132: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8330751/#; siehe auch: https://bra.se/bra-in-english/home/crime-and-statistics/sexual-offences.html; https://www.statista.com/statistics/1177271/number-of-reported-cases-of-sexual-offence-in-sweden-by-type/.
  8. https://storage.polit-x.de/media/Wissenschaftlicher%20Dienst/pdf/2020-01/e5a2b4a49c7e8c070d607b213f6d00e7.pdf; siehe auch: https://www.bundestag.de/resource/blob/425664/52e7bea1216ae86ee0965a97d781a3b5/wd-9-026-16-pdf-data.pdf.

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Inge Bell (Vorstandsvorsitzende DIAKA) Helmut Sporer (Stv. Vorstandsvorsitzender DIAKA)
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Inge Bell (Vorstandsvorsitzende DIAKA) Helmut Sporer, Kriminaloberrat a.D. (Stv. Vorstandsvorsitzender DIAKA), Foto: Stefan Baumgarth
Inge Bell (Vorstandsvorsitzende DIAKA) Helmut Sporer, Kriminaloberrat a.D. (Stv. Vorstandsvorsitzender DIAKA), Foto: Stefan Baumgarth

Für weitere Informationen, Anfragen und Interviews stehen die Expertinnen und Experten des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse - DIAKA gern zur Verfügung.

 

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