Sachverständige des DIAKA -Deutsches Institut für angewandte Kriminalitätsanalyse fordern einen „Neuen Deutschen Weg“ in der Prostitutionspolitik // Bisherige Prostitutionsgesetzgebung wird dem System aus Gewalt, Organisierter Kriminalität und Menschenhandel nicht gerecht // Vor allem junge Frauen aus Südosteuropa in der Elendsprostitution
„Zur Situation der Prostituierten in Bayern“ veranstaltete der Sozialausschuss des Bayerischen Landtags auf Initiative von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 12. Mai 2022 eine Anhörung. Die Vorträge der zwölf Referierenden machten das enorme Ausmaß des Elends in der Prostitution sichtbar – und auch das beschönigende Zerrbild dieser Verhältnisse, wie es in unserer Gesellschaft noch vorherrscht.
Die Anhörung verlief kontrovers: 5 Sachverständigen aus bayerischen Fachberatungsstellen, Schutzeinrichtungen, Frauenrechtsorganisationen, der Gynäkologie und der Kriminalpolizei standen 6 Vertreterinnen von Interessensverbänden der Bordellbetreiber-Branche und von Pro-Prostitutions-Organisationen gegenüber, unter ihnen drei sich prostituierende Frauen – zwei als Dominas, eine als "alte Hure" (Selbstbezeichnung von Stephanie Klee).
„Prostitution produziert Tote und Waisenkinder“
Für „Netzwerk Ella“, eine bundesweite Organisation von Frauen aus der Prostitution, war Viktoria K. als Expertin eingeladen. Ihr Statement: „Nach 20 Jahren liberalisierter Gesetzgebung ist klar: Prostitution produziert Tote und Waisenkinder. Das ist unser Alltag.“ fand große Resonanz in der bundesweiten Berichterstattung.
Die Fachleute aus den Beratungsstellen, Frauenrechtsorganisationen, Gynäkologie und Polizei – darunter mit Menschenrechtsaktivistin Inge Bell und Kriminaloberrat a.D. Helmut Sporer auch zwei Sachverständige, die sich im Vorstand des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse DIAKA engagieren -, zeichneten durch Fakten und Erfahrungsberichte ein erschütterndes Bild über die Zustände im Gewaltsystem Prostitution:
- 80-98% der Mädchen und Frauen stammen aus dem Ausland, vornehmlich aus (Süd-) Osteuropa und sind in der Armuts-, Elends- und Zwangsprostitution.
- Die meist sehr jungen und unselbständigen Frauen haben oft keine Sprach-, Landes- und Rechtskenntnisse und sind ihren Zuhältern und Menschenhändlern ausgeliefert
- Sie sind in gesundheitlich alarmierendem Zustand, körperlich und psychisch kaputt. Sie haben meist Gewalt- und Missbrauchs-Vorerfahrungen und sind oft abhängig von Drogen, Alkohol, Tabletten.
- Die Mädchen und Frauen in der Prostitution werden hier in rechtlich völlig legalen Betrieben ausgebeutet: in Bordellen, Wohnungsbordellen, FKK Clubs. Also im Hellfeld.
- Das Prostitutionsmilieu ist in weiten Teilen geprägt von kriminellen Strukturen der Organisierten Kriminalität.
- Die Nachschubsicherung der jungen Frauen aus Südosteuropa erfolgt meist durch Banden- und Clankriminalität. Es gibt kaum Strafverfahren, dafür immer neue Opfer.
- Die meisten Mädchen und Frauen erleiden Gewalt in der Prostitution – durch ihre Zuhälter, „Loverboys“, Menschenhändler und Freier. Sie stecken in einer Gewaltspirale ohne Ausweg.
- Die gesamte Strafverfolgung engagiert sich umsonst: es gibt nur wenige Verfahren, viele Verfahren werden eingestellt, und entsprechend gibt es nur wenige Verurteilungen.
- Nur ein sehr geringer Teil dieser Mädchen und Frauen ist nach dem ProstSchG angemeldet oder gar krankenversichert.
- Der überwältigenden Mehrheit an sehr jungen, migrantischen Armuts- und Elendsprostituierten steht eine verschwindend geringe Minderheit an professionellen deutschen, meist älteren Dominas und Escort-Prostituierten gegenüber. Dieses Missverhältnis - „false balance“ – dominiert derzeit die Darstellung und Diskussion von Prostitution in der Öffentlichkeit.
„Freiwilligkeit zu unterstellen ist zynisch“
Auch bei dieser Landtagsanhörung waren die professionellen Prostituierten, die einen Marktanteil von 2-5% stellen, sowie die Interessensverbände der Bordellbetreiber-Branche in unangemessen überproportionalem Verhältnis vertreten. Sie standen ausschließlich für ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen ein und blendeten die prekäre Situation der überwältigenden Mehrheit der unfreiwilligen Prostituierten völlig aus.
"Angesichts dieses perfiden Gewaltsystems den Mädchen und Frauen in der Prostitution Freiwilligkeit zu unterstellen ist zynisch." so Inge Bell, die als Sachverständige und Stv. Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES im Landtag gehört wurde, "Diese Ausbeutung und Menschenverachtung in der Prostitution konnte sich nur entwickeln und verfestigen durch 20 Jahre fehlgeleitete Prostitutions-Politik in Deutschland. Diese Politik hat Deutschland zum Bordell Europas gemacht – und zu einem Paradies für Menschenhändler."
Erwartungsgemäß leugneten die Interessensvertreterinnen der Bordellbetreiber und Pro-Prostitutions-Organisationen auch die Tatsache, dass es überhaupt im großen Stil Gewalt in der Prostitution gäbe. So behauptete Juanita Henning von der Frankfurter Organisation Dona Carmen entgegen aller Studien, polizeilicher Erkenntnisse und offensichtlicher Erfahrungen aus den Fachberatungsstellen: "99% der Frauen arbeiten, ohne von Kriminalität betroffen zu sein. […] Es gibt eine ziemlich geringe Ausprägung von Kriminalität im Rotlichtbereich".
Entsprechend stellten die Interessensvertreterinnen der Pro-Prostitutions-Lobby eigennützige Forderungen auf wie zum Beispiel
- Prostitution auf Krankenschein in Alten-, Behinderten- und Pflegeheimen – als sogenannte „Sexualassistenz“
- die völlige Streichung von Sperrgebietsregelungen, damit künftig auch in jeder kleinen Gemeinde Bordelle eröffnen können,
- oder gar die ersatzlose Abschaffung von wichtigen strafrechtlichen Schutzvorschriften für Mädchen und Frauen in der Prostitution - wie Zuhälterei, Ausbeutung von Prostituierten oder Zwangsprostitution.
„Das bestehende System ist untauglich“
Der Sachverständige Helmut Sporer, Augsburger Kriminaloberrat a.D., erteilt diesen Forderungen eine klare Absage: "Das Rotlichtmilieu ist ohne Kriminalität, Gewalt, Ausbeutung und Drogen gar nicht zu denken. Das Schönreden und Leugnen dieser Tatsachen befördert aktiven Täterschutz und liefert die jungen Frauen in der Prostitution völlig aus. Und das alles geschieht in rechtlich völlig legalen, vermeintlich geregelten Strukturen direkt vor unseren Augen, überall in Deutschland. Das seit 20 Jahren bestehende System ist untauglich, es produziert ständig neue Opfer. Wir brauchen einen generellen Richtungswechsel in der deutschen Prostitutionspolitik."
Wer heute von Prostitution in Deutschland redet, spricht von der überwältigenden Mehrheit – nämlich den Hunderttausenden namenlosen Mädchen und Frauen aus (Süd-)osteuropa, Nigeria, Südamerika, Thailand und zunehmend aus Vietnam und China in der deutschen Elendsprostitution. Ihnen eine Stimme zu geben und ihre desolate Lage in Armut, Unfreiwilligkeit und Zwang zu verbessern – dafür stehen die ExpertInnen vom Deutsches Institut für angewandte Kriminalitätsanalyse DIAKA.
DIAKA bildet damit ein Korrektiv zu der sehr kleinen, aber lauten und sichtbaren Minderheit der Prostitutions- und Bordellbetreiber-Lobby und wirkt dem bestehenden Mythos einer freiwilligen Prostitution entgegen.
Die Expertinnen und Experten des DIAKA begrüßen auch ausdrücklich die aktuellen Forderungen des Bayerischen Justizministers Georg Eisenreich, Menschenhändler härter zu bestrafen und den Schutz insbesondere von Mädchen und Frauen aus der Ukraine vor Zwangsprostitution zu verbessern. Der Justizminister greift damit wichtige Anliegen auf, auf die DIAKA kürzlich hingewiesen hatte. Allerdings werden höhere Strafen allein nicht ausreichen, das Problem des Menschenhandels, der Gewalt und Ausbeutung in der Prostitution zu lösen.
„Der Neue Deutsche Weg“
Auf der Landtagsanhörung wurde sehr deutlich, dass die bestehende Prostitutionsgesetzgebung gescheitert ist - und dass es nicht reicht, sie nachzubessern oder mit kosmetischen Maßnahmen zu modifizieren. Wenn der Schutz von elementaren Menschenrechten in der Prostitution gewährleistet werden soll, dann braucht es einen deutlichen Richtungswechsel hin zu einer zeitgemäßen Prostitutionspolitik, wie sie auch auf der Anhörung breit gefordert wurde:
Zu einer Gesetzgebung, die
- dem gesellschaftlich bereits erfolgten Wandel von ethischen Werten hinsichtlich des Kaufs von Menschen auch gesetzlich gerecht wird,
- die Verursacher des derzeitigen Desasters, nämlich die Profiteure, in den Fokus nimmt – und das bedeutet: auch die Freier – und die
- zugleich die vielen Tausend Mädchen und Frauen entstigmatisiert und gesellschaftlich resozialisiert.
So forderten auch die Sachverständigen und DIAKA-Vorsitzenden Inge Bell und Helmut Sporer auf der Landtagsanhörung einen „Neuen Deutschen Weg“ in der Prostitutionspolitik.
Der "Neue Deutsche Weg" ist eine Weiterentwicklung von internationalen Best Practice Erfahrungen aus Ländern, die teils schon seit 20 Jahren den Richtungswechsel in der Prostitutionsgesetzgebung eingeführt haben: u.a. Schweden, Norwegen, Island, Irland, Kanada, Frankreich, Israel. Und er ist die konsequente Umsetzung einer vom Europäischen Parlament geforderten Gesetzgebung.
Der Neue Deutsche Weg - 5 Säulen für die Menschenwürde von Frauen und Männern
Weiterentwickelt für die spezifisch deutschen Anforderungen sieht der Neue Deutsche Weg diese 5 Eckpfeiler vor:
1. Entkriminalisierung der Frauen in der Prostitution & sinnvolle Ausstiegshilfen
- Entstigmatisierung und Entkriminalisierung der Mädchen und Frauen in der Prostitution
- reale Ausstiegshilfen und nachhaltige Ausstiegsbegleitung für Mädchen und Frauen aus der Prostitution
- Neuorientierungsangebote für die sehr wenigen tatsächlich selbstbestimmten Prostituierten
2. Nachhaltige Lebenshilfe nach Rückkehr in die Herkunftsländer
- wirksame gesellschaftliche und wirtschaftliche Unterstützung, Begleitung und Integration der Aussteigerinnen in Deutschland oder in den Herkunftsländern, insbesondere längerfristige Hilfsprojekte speziell für Rückkehrerinnen v.a. in den EU-Ländern (Süd-)Osteuropas zur wirtschaftlichen Wiedereingliederung
3. Verhinderung des Einstiegs in die Prostitution & Reduzierung der Nachfrage
- Drosselung/ Minimierung des Einstiegs in die Prostitution über
-
- die Verringerung des aktuellen Überangebots durch Schließung von Bordellen
- die Verringerung der Nachfrage durch Bestrafung von Freiern
- ein Verbot von sogenannter „Einstiegsberatung“
4. Konsequente Strafverfolgung
- klare gesetzliche Rahmenbedingungen mit praxistauglichen Instrumentarien und eindeutigen Handlungsoptionen für konsequente und effektive Strafverfolgung der aller Profiteure in der Prostitution: Zuhälter, Menschenhändler, Vermieter von Prostitutionsräumlichkeiten, Betreiber von Werbeplattformen und Freier
5. Prävention & gesamtgesellschaftliche Aufklärung über das System Prostitution
- frühzeitige Prävention und Aufklärung schon vom Kindesalter an in allen öffentlichen Institutionen (Kitas, Schulen…)
- gesamtgesellschaftliche Aufklärung über das System Prostitution und seiner gewaltbesetzten Realität jenseits klischeehafter Romantisierung - sowie die gesellschaftliche Diskussion über Prostitution und ihre Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde entsprechend den Forderungen des Europäischen Parlaments 2014
Insgesamt vom DIAKA auf der Landtagsanhörung waren als Sachverständige und Gäste vertreten:
Inge Bell, 1. Vorsitzende (Sachverständige)
Helmut Sporer, 2. Vorsitzender(Sachverständiger)
Prof. Ursula Männle
Marietta Hageney
Stefan Baumgarth
Die offizielle Berichterstattung des Bayerischen Landtags über die Anhörung finden Sie hier:
Addendum:
Zusammenfassung wesentlicher Aspekte der Redebeiträge von
Inge Bell, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES, Berlin-München:
- Die überwältigende Mehrheit der meist sehr jungen Frauen in der deutschen Prostitution – 95-98% - kommen vor allem aus den ärmsten Ländern Südosteuropas – Bulgarien, Rumänien, Ukraine -, ohne Sprach-, Rechts- und Landeskenntnisse, dafür mit Zuhältern und Menschenhändlern im Hintergrund.
- Dieser Masse an Migrantinnen steht eine extrem kleine, aber sichtbare Minderheit aus Zuhälter-unabhängigen Frauen in der Prostitution gegenüber – geschätzt 2-5% -, die völlig untypisch und unrepräsentativ für die Prostitutionsszene in Deutschland sind: weil es sich dabei zumeist um deutsche und ältere Frauen überwiegend im Domina- oder Escort-Bereich handelt.
- Diese „false balance“ - das Missverhältnis aus dem Leitbild der vermeintlich freiwilligen Prostituierten und dem realen „Leidbild“ der migrantischen, meist südosteuropäischen Elendsprostituierten – dominiert jedoch fatalerweise die öffentliche Darstellung und verhindert den sachlichen Blick auf die Tatsachen des Gewaltsystems Prostituiton.
Liane Bissinger, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, München:
- Von Prostitutionsmythen á la „Pretty Woman“ muss man sich verabschieden
- Prostitution hat verheerende gesundheitliche Auswirkungen auf die Frauen, von denen die wenigsten krankenversichert seien. „Prostitution an sich macht krank“, so Bissinger.
- Die von Freiern verlangten Praktiken – u.a. Penetration ohne Kondom, anales Fisting - führen nicht nur zu Geschlechtskrankheiten, sondern auch zu schweren körperlichen und psychischen Langzeitfolgen: Verletzungen, Inkontinenz, posttraumatischen Belastungsstörungen.
- Um die Prostitution überhaupt aushalten zu können, betäuben sich die Frauen mit Alkohol, Drogen, Tabletten.
Rodica Knab, Traumatherapeutin in der Augsburger Fachberatungsstelle von SOLWODI Bayern, über ihre aufsuchende Sozialarbeit:
- Die überwiegend sehr jungen Frauen in der Prostitution - zumeist Rumäninnen aus sozial schwachen Familien - machen meist Gewalterfahrungen und bringen sie auch aus der Vergangenheit mit. Das macht sie zu einer „leichten Beute“ für Zuhälter und Freier.
- Es sind vor allem Rumäninnen, diese „jungen Mädchen sind nach einer Woche gebrochen, kaputt, entwürdigt.“
- Die völlig ausgelieferten und wenig selbstbewussten jungen Frauen aus Osteuropa sind durch die administrative Selbständigkeit der deutschen Prostitutionsgesetze völlig überfordert. Das regeln die Männer für sie: Zuhälter, die sich als „Cousins“ oder „Freunde“ ausgeben.
Juliane von Krause, Geschäftsführerin von STOP DEM FRAUENHANDEL und der Fachberatungsstelle Jadwiga, München-Hof:
- In der bayerischen Prostitution stammen 80-90% der Frauen aus Osteuropa, sie alle sind in der Zwangs- und Armutsprostitution, sehr vulnerabel, mit Alkohol-, Drogenabhängigkeit und psychischen Erkrankungen.
- Diese Frauen wissen nicht, dass sie hier überhaupt Rechte haben. Es muss entsprechend Ausstiegshilfen geben speziell für diese vulnerablen Frauen aus Osteuropa, nicht so sehr an die sehr wenigen deutschen Frauen in der Prostitution, die ihre Rechte kennen.
- Die Mitarbeiterinnen von Jadwiga stoßen auf Betroffene von Menschenhandel in ganz legalen Bordellen.
Viktoria K., Vertreterin des bundesweiten „Netzwerk Ella“:
- Das Netzwerk Ella wurde im Jahr 2018 gegründet und ist ein Zusammenschluss von Frauen aus der Prostitution, aktiven und ehemaligen. Es versteht sich als ein Sprachrohr für die, die keine Stimme haben, kein Gehör finden und die auch nicht von den Betreiber-Verbänden und deren Lobby repräsentiert werden. „Die Profiteure der Prostitution sprechen nicht für uns.“
- Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung in der „Parallelwelt Prostitution“ werden politisch erkannt. Dennoch wird die Annahme, Prostitution sei eine Dienstleistung, nicht hinterfragt. Die inneren Strukturen der Sex-Industrie werden nicht angetastet. Der Schutzgedanke geht nicht weit genug.
- Gewaltschutz und Gesundheitsschutz sind in der Prostitution nicht möglich.
- Die Unterscheidung in legale und illegale Prostitution, in freiwillige und erzwungene Prostitution, ist realitätsfremd und nicht hilfreich. Denn Legalität legitimiert Ausbeutung, und Freiwilligkeit legitimiert die Nachfrage und Gewalt der Freier.
- Je länger diese akzeptierende Haltung gegenüber dem Freiertum besteht, desto mehr Leben und Familien werden zerstört. Prostitution in Deutschland hat Gewaltopfer und Waisenkinder zur Folge.
- Anzahl der ermordeten Prostituierten in Bayern in den vergangenen 20 Jahren: mindestens 15.
- Das Netzwerk Ella fordert einen umgehenden gesellschaftlichen Wandel – systemische Lösungen, wie in Schweden, Frankreich oder Israel.
Helmut Sporer, Kriminaloberrat a.D., Augsburg:
- Es ist ein Irrglaube, man könne reguläre „freiwillige“ Prostitution von Menschenhandel trennen: die Mädchen und Frauen werden nicht etwa in einem „Dunkelfeld“ ausgebeutet, sondern im Hellfeld, in ganz legalen Bordellen.
- Die Opfertypen in den regulären Bordellen: jugendliche bis kindliche Frauen aus meist Südosteuropa. Manche haben ihre Puppen dabei. Unselbständig, völlig unerfahren in organisatorischen und administrativen Angelegenheiten.
- Sporer zitiert aus dem Bericht der Dortmunder Beratungsstelle „Kober“ von 2019, der die Zustände in den regulären Bordellen, also die Realität im Hellfeld, bestätigt:
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- Eine Verständigung mit den Frauen ist nicht möglich, neben Bildungsferne und Sprachschwierigkeiten kommt oft noch Analphabetismus hinzu; Die Szene besteht zu 89% aus sehr jungen Migrantinnen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
- Der Alltag im Bordell ist geprägt durch Druck, Zwang und Einschüchterung
- Dumpingpreise und Ausbeutung sind die Realität; die wenigsten Frauen haben Anmeldungen nach dem ProstituiertenSchutzGesetz
- Die Fallzahlen des BKA – eine reine Verdachtsstatistik - sind rückläufig. Die Ermittlungen schwierig, denn ohne Opferaussage ist in der Regel keine Beweisführung möglich. Es gibt kaum Verfahren aber ständig neue Opfer: „Jede Gerettete wird nachbesetzt.“
- Der US-Menschenhandelsbericht (TIP) stuft Deutschland in Bezug auf die Bekämpfung von Menschenhandel in der Prostitution auf ein Land mit unzureichenden Standards hinunter:
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- über die Hälfte aller Verfahren wurden eingestellt
- wenn es Verurteilungen gab, so nur mit sehr niedrigen Strafen
- 2021: der Forschungsbericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen stellt keine Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels fest. Über 80% der Ermittlungsverfahren mussten eingestellt werden. Sporer: „Eine Ohrfeige für die wenigen Opfer, die zur Aussage bereit waren und eine fatale Botschaft an die, die möglicherweise aussagen würden“.
Für weitere Informationen, Anfragen und Interviews stehen die Expertinnen und Experten des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse - DIAKA gern zur Verfügung.
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