Anlässlich des Internationalen Tags gegen Prostitution 2022 wurde am 5. Oktober in Schwäbisch Gmünd das verfassungsrechtliche Gutachten zur deutschen Prostitutionsgesetzgebung mit dem Titel "Sexkauf - eine rechtliche und ethische Untersuchung" offiziell vorgestellt.
Das Deutsche Institut für angewandte Kriminalitätsanalyse (DIAKA) steht hinter diesem Gutachten und veröffentlicht hier offiziell als Zusammenfassung die 12 grundlegenden Ergebnisse.
Der gesamte Text erscheint Anfang 2023 als Buch im Nomos Verlag. [SB]
Permalink: https://www.diaka.org/rechtsgutachten-prostitution
Die Bundestagsabgeordneten Leni Breymaier und Elisabeth Winkelmeier-Becker nahmen an der Debatte mit Justiz, Polizei und Politik in Schwäbisch Gmünd Teil. Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger stellte mit seinem Vortrag das aktuelle Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit der deutschen Prostitutionsgesetzgebung vor. Kriminaloberrat a.D. und DIAKA Vorstand Helmut Sporer berichtete aus der Sicht der Polizei. Mitinitiatorin des verfassungsrechtlichen Gutachtens ist Marietta Hageney, DIAKA-Gründungsmitglied.
Auf dem Foto (v.l.n.r.): Elke Heer (Beauftragte für Chancengleichheit der Stadt Schwäbisch Gmünd), Helmut Sporer (Kriminaloberrat a.D., Vorstand DIAKA), Leni Breymaier (Mitglied des Bundestages, SPD), Gisela Stephan (Frauen Union Schwäbisch Gmünd), Anja Meinhardt (Justice in Motion), Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger, Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages, CDU), Marietta Hageney (Geschäftsstellenleiterin Ostalb-Bündnis, Gründungsmitglied DIAKA).
Sexkauf - eine rechtliche und ethische Untersuchung - 12 grundlegende Ergebnisse
von Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger und Prof. Dr. Elke Mack
Die Würde des Menschen, die in der deutschen Verfassung als oberstes Prinzip festgeschrieben ist, wird gegenwärtig vor allem anhand der Frage der Autonomie menschlicher Entscheidungen beurteilt. Sie wurde in Bezug auf die Prostitution unter den Bedingungen geltender, liberaler Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland untersucht. Das Ergebnis dieser Prüfung ergab, dass die Autonomie der Menschen in der Prostitution (95 Prozent der Menschen in der Prostitution sind Frauen) zwar unterstellt wird, jedoch durch die geltende Gesetzgebung und Verwaltungspraxis nicht garantiert werden kann. Deshalb ist die geltende Prostitutionsgesetzgebung nicht verfassungskonform.
1. Keine Prüfung des Würdeschutzes erfolgt
Beim Erlass des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2001 wurde der Beurteilung des Menschenwürdeschutzes nachweislich nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Seit über 20 Jahren wurde von Seiten des Gesetzgebers nicht weiter hinterfragt, ob Prostitution auch noch weitere Rechtsverletzungen durch die Beteiligten nach sich zieht. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde wurde nicht thematisiert.
2. Vorschnelle Annahme der Freiwilligkeit
Beide Gesetze zur Prostitution (Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten ProstG und Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen ProstSchG) unterstellen die Freiwilligkeit durch die Betroffenen, ohne diese je einer empirischen Prüfung unterzogen zu haben. Es liegt deshalb ein gravierender Mangel der Prüfung der Freiwilligkeit vor, ebenso wie eine vorschnelle Legalisierung der Prostitution ohne Prüfung der menschenrechtlichen Folgen für die Prostituierten.
3. Kenntnis andauernder Rechtsverletzungen durch gesetzgeberisches Unterlassen
Das geltende Prostitutionsgesetz wurde nicht revidiert, obwohl vom Gesetzgeber selbst erkannt wurde, dass es zu andauernden, schwerwiegenden Rechtsverletzungen gegenüber Prostituierten im Rahmen dieses Gesetzes kommt. Auch dem Verdacht menschenunwürdiger Bedingungen durch Organisierte Kriminalität im Rotlichtmilieu wurde bis heute nicht genügend nachgegangen. Trotz der Kenntnis über schwerwiegende strafbare Handlungen und sexuelle Ausbeutung gegenüber Menschen in der Prostitution, fehlt es Polizei und Strafverfolgungsbehörden insbesondere an den entsprechenden gesetzlich zu schaffenden Eingriffsbefugnissen.
4. Billigende Inkaufnahme von Unrecht und mangelnde Beseitigung
Dies bedeutet, dass die bundesdeutsche Gesetzgebung, trotz Kenntnis, seit zwanzig Jahren Unrechtsstrukturen sehenden Auges in Kauf nimmt, in dem sie weiterhin sexuelle Ausbeutung und auch unfreiwillige sexuelle Dienstleistungen duldet.
5. Würdeschutz als Verbot der Verobjektivierung und Garantie von Autonomie
Die Menschenwürde ist unveräußerlich und wird verletzt, wenn (durch staatliches Handeln) Menschen "verobjektiviert" werden, also im Sinne einer Instrumentalisierung bzw. Herabstufung zu Objekten werden. Der Würdeschutz beinhaltet auch eine Garantie der sexuellen Autonomie, weil diese für Menschen wesentlich ist. Freier Wille und sexuelle Selbstbestimmung korrelieren miteinander und müssten deshalb nicht nur bei der Vereinbarung der Prostitution, sondern auch während des prostitutiven Akts als Bedingung der Menschenwürde garantiert bleiben.
6. Medizinisch und psychische Schäden und Menschenrechtsverletzungen
Es gibt neben belastbaren Hinweisen für serielle, irreversible posttraumatische Belastungsstörungen, chronische Erkrankungen der Geschlechtsorgane und anderer Organe, darüber hinaus für hohe Sterblichkeit und stark verkürzte Lebenserwartung als Folge der Prostitution, weitere Missstände in Form von Zwangsprostitution, von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung von MigrantInnen und vulnerablen Gruppen. Sie sind in Deutschland nach Aussage aller mit Prostitution befassten Behörden, Medizinern, Psychotherapeuten und Beratungsstellen nachweisbar. Naturwissenschaftliche Gutachten bestätigen die nachhaltige Schädigung der Prostituierten, ebenso repräsentative Erfahrungen aus der begleitenden Sozialarbeit. Deutschland gilt international als Hort des Menschenhandels in Europa, der Zwangsprostitution und der Geldwäsche durch Organisierte Kriminalität im insoweit legalisierten Rotlichtmilieu.
7. Menschenwürde ist keine Leerformel
Das Grundgesetz Deutschlands steht letztlich durch seine Fundamentalnorm in Art. 1 in der Tradition von Immanuel Kant, der aus der Menschenwürde im Kategorischen Imperativ das 'Instrumentalisierungsverbot' schlussfolgert und die Menschenwürde als zentrale Anspruchsgrundlage für alle Menschenrechte begreift. Wenn vereinzelt behauptet wird, dass diese nur eine 'Leerformel' sei, die in der Gegenwart nur durch ein persönliches, moralisches Werturteil bestätigt werden könne, bedeutet dies ein fundamentales Abrücken vom unveräußerlichen Grundrecht jedes Rechtssubjektes auf Schutz seiner Würde und von der Fundamentalnorm der bundesdeutschen Verfassung.
8. Bei Verobjektivierung gibt es keine Autonomie
In dem Moment, in dem Menschen durch Dritte verobjektiviert bzw. instrumentalisiert werden, bleibt ihnen keine Wahl mehr für ein freies persönliches Werturteil, denn sie sind nicht mehr autonom. Subjektive Werturteile sind nur möglich, wenn Autonomie und grundsätzliche Freiheit im Handlungsvollzug vorausgesetzt werden können. Es zeugt angesichts der bekannten Umstände von grundsätzlicher Sachferne zu behaupten, die repräsentative Mehrheit der Frauen in der Prostitution würde keiner Fremdbestimmung im Sinne der Verobjektivierung unterliegen. Deshalb können nur objektive Untersuchungen, nicht jedoch Einzelmeinungen oder interessengeleitete Äußerungen von Bordellbetreibern und Zuhältern für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Prostitutionsgesetzgebung maßgeblich sein.
9. Unveräußerliche Grundrechte müssen auch bei sexueller Liberalisierung gelten
In Abkehr vom Nationalsozialismus hat sich das Grundgesetz in vollumfänglicher Kenntnis dieser Unveräußerlichkeit von Würde bewusst der Realisierung der Grundrechte im weitestgehenden Sinne verschrieben. Das Bundesverfassungsgericht wird deshalb, auch wenn es versucht den Entwicklungen sexueller Liberalisierung gerecht zu werden, grundsätzlich am Instrumentalisierungsverbot festhalten. Auch eine liberalisierte Prostitution darf keinen Tabuisierungen und Fehleinschätzungen unterliegen, so dass Grundrechtsverletzungen verdeckt werden. Sexualität kann einerseits befreiend und lustvoll sein, andererseits jedoch auch verletzend und instrumentalisierend. Deshalb darf es, insbesondere für Frauen, keinen rechtsfreien Raum geben, in dem Vergewaltigung und schwere Körperverletzungen gegen den Willen der Betroffenen nicht geahndet werden.
10. Autonomie ist nicht garantiert
Wenn eine Person gegen Entgelt einer anderen Person sexuell zur freien Verfügung stehen soll, ist es von Seiten des Gesetzgebers nicht möglich, Gewaltfreiheit durch den Freier und Würdeschutz durch den Bordellbetreiber zu garantieren. Kriminalstatistisch wird Prostitution regelmäßig von Nötigung durch Zuhälter und Gewalt durch Freier geprägt. Psychotherapeutisch produziert sie - vor allem weibliche - Opfer, die ganz überwiegend einen Migrationshintergrund besitzen, durch Armut, Sprachbarrieren und niedrigen Bildungsstand gekennzeichnet sind. Mangelnde Autonomie bei der Willenserklärung zur Prostitution ist bei den meisten Betroffenen ein Faktum ebenso wie eine fehlende autonome und freie sexuelle Selbstbestimmung während des prostitutiven Aktes selbst - gegenüber männlichen Freiern. Ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung in vollumfänglicher Autonomie sieht anders aus.
11. Verfassungsrechtliche Pflicht zur Aufhebung des Prostitutionsgesetzes
Gemäß dieser Sachlage trifft den Gesetzgeber deshalb (aus Art.1 Abs. 1 S.2 GG) die Pflicht, das für die Würdeverletzung mitursächliche Prostitutionsgesetz des Jahres 2001 in Gestalt des ProstG aufzuheben und nicht nur das spätere Prostituiertenschutzgesetz ProstSchG zu novellieren. Mangelnde Autonomie und Verobjektivierung durch Dritte werden durch die derzeitige Gesetzgebung erst befördert. Die geltende Gesetzgebung ist unseres Erachtens grundgesetzwidrig. Die Prostitutionsproblematik ihrerseits ist schnellstmöglich normativ so zu regeln, dass keine weitergehende Würdeverletzung bei hunderttausenden vulnerabler Prostituierter in Deutschland mehr stattfindet.
12. Sexkaufverbot garantiert Würdeschutz
Nach internationalen Erfahrungswerten ist eine sinnvolle Regulierung der Prostitution nachweislich nur gemäß dem Nordischen Modell möglich, welches die Strafbarkeit von Sexkauf als gesetzliche Norm vorgibt. Menschenhandel, gewaltsame Prostitution sowie Zwangsprostitution können damit nahezu ausgeschlossen werden, denn die Nachfrage nach Prostitution reduziert sich auf ein Minimum; das Geschäftsmodell wird unattraktiv für Organisierte Kriminalität. Die verbleibenden Prostituierten werden nicht kriminalisiert, ihnen vielmehr Angebote der Betreuung und des Ausstiegs unterbreitet. Die Einschätzung, dass sich dadurch Prostitution in ein unkontrollierbares Dunkelfeld verschiebt, hat sich empirisch als falsch erwiesen und wird nach regierungsamtlichen schwedischen Evaluationen ebenso wenig bestätigt wie nach den Erfahrungen der mittlerweile zahlreichen anderen demokratischen Rechtsstaaten, in denen das Nordische Modell bereits geltendes Recht ist.
[Der gesamte Text des verfassungsrechtlichen Gutachtens zur deutschen Prostitutionsgesetzgebung erscheint Anfang 2023 als Buch im Nomos Verlag.]
Für weitere Informationen, Anfragen und Interviews stehen die Expertinnen und Experten des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse - DIAKA gern zur Verfügung.
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